Telekom-Tarifrunde 2020 und Corona

Entgelterhöhung und riskante Laufzeit

Die Tarifrunde 2020 bei der Deutschen Telekom wurde im April beendet. Mit Entgeltsteigerungen zwischen 4,6 und 5 % auf 24 Monate, Zuzahlungen zur Kurzarbeit und einer deutlichen Verlängerung des Kündigungsschutzes kann sich das Ergebnis sehen lassen. Vor allem vor dem Hintergrund, dass diesmal die Tarifrunde vollständig ohne Warnstreik ablief. Die Gewerkschaft ver.di hatte sich im Vorfeld mit dem Management darauf geeinigt, sehr schnell und ohne Eskalationen ein für beide Seiten annehmbares Ergebnis zu erzielen. Sowohl der Gewerkschaft, als auch der Kapitalseite und dem Management war angesichts der Corona-Krise daran gelegen, die Tarifrunde schnell und ohne aktive Auseinandersetzungen zu beenden.

Auf dem Management lastete angesichts der Kontakteinschränkungen die politische Erwartung, der Bevölkerung, vor allem aber den Unternehmen die Infrastruktur für Telefon- und Videokonferenzen zur Verfügung zu stellen. Die Gewerkschaft wiederum stand vor der Frage, wie denn Warnstreiks unter den gegebenen Bedingungen zu organisieren seien. Ver.di ist es trotz dieser schwierigen Situation gelungen, deutliche Verbesserungen und eine ansehnliche Entgelterhöhung durchzusetzen.

Offene Fragen

Trotz des respektablen Ergebnisses sollten sich die Beschäftigten aber einige Fragen zur aktuellen Situation bei der Telekom und auch zum aktuellen Ergebnis stellen.

Die ver.di Betriebsgruppe bei der Telekom in Südhessen hat einen Teil der Fragen in ihrem Papier "Licht und Schatten - 10 Thesen zur gewerkschaftspolitischen Bewertung der ver.di-Tarifrunde OSD 2020" aufgegriffen. Das Papier ist im ver.di Landesfachbereich TK/IT Hessen bekannt und auf der Homepage der Betriebsgruppe erhältlich.

Gewerkschaftliche Durchsetzungsfähigkeit

Die Betriebsgruppe beschäftigt sich vor allem mit der Frage der Durchsetzungsfähigkeit. Angesichts der langen Laufzeiten der Tarifverträge (in der Regel mindestens 24 Monate) und des Verzichts auf Warnstreik in diesem Jahr muss davon ausgegangen werden, dass der gewerkschaftliche Organisationsgrad in den Betrieben, aber auch die Mobilisierungs- und Durchsetzungsfähigkeit erheblich leiden. Die Erfahrung zeigt, dass Gewerkschaften bei aktiven Auseinandersetzungen Mitglieder gewinnen. Dazu zählen die Warnstreiks bei Tarifrunden. Die letzte aktive Tarifrunde war 2018. Die Nächste wird frühestens 2022 stattfinden. Das sind 4 Jahre ohne aktive gewerkschaftliche Auseinandersetzung im Interesse und unter der Beteiligung der Beschäftigten. Nach diesen 4 Jahren werden auch die neuen Arbeitsformen, wie Mobile Working, Home-Office etc. den Arbeitsalltag stark verändert haben. Die Ansprache der Beschäftigten und die Mobilisierung werden deutlich schwieriger geworden sein.

Das sind entscheidende Fragen für die Gewerkschaften als Interessenvertreter der Beschäftigten. Diese müssen jetzt angegangen und diskutiert werden. Ver.di, die gewerkschaftlichen Vertrauensleute, aber auch alle Beschäftigten sollten die 4 Jahre dazu nutzen, um zu klären, wie die eigene Durchsetzungsfähigkeit gesichert und erweitert werden kann!

Wirtschaftliche Perspektiven

Der Entgelttarifvertrag für die Beschäftigten der Deutschen Telekom läuft bis Frühjahr 2022. Auf 12 Monate gerechnet beträgt die Lohnsteigerung zwischen 2,3 und 2,5 %. Angesichts der aktuellen durchschnittlichen Inflationsrate für April 2020 von 0,9% (Anstieg der Preise im Vergleich zum April 2019) ein deutlicher Reallohnzuwachs. So scheint es wenigstens. Wer sich aber die Preissteigerungen im Detail anschaut, wird feststellen, dass die verschiedenen Entgeltgruppen sehr unterschiedlich von Lohnzuwachs und Inflation betroffen sind.

So müssen die unteren Lohngruppen einen größeren Anteil ihres Einkommens für Waren des täglichen Bedarfs, wie Lebensmittel, Energie und Miete, ausgeben. Gerade bei den Lebensmitteln sieht die Inflationsrate aber ganz anders aus. So beträgt die Preissteigerung bei Obst 11%, bei Gemüse 6,5% und bei den übrigen Lebensmitteln inkl. Alkoholfreier Getränke 4,6%. Schon in den letzten Jahren waren diese Warengruppen von überdurchschnittlichen Preissteigerungen gekennzeichnet. Hier handelt es sich also nicht um Folgen der Corona-Krise.

Die Krise könnte sich aber in naher Zukunft erheblich auf die Kaufkraft der Beschäftigten - nicht nur bei der Telekom - auswirken. Der sogenannte Lockdown kann zu einer Verknappung von Waren des täglichen Bedarfs führen. Da der Preis der Waren vom Verhältnis von Angebot zu Nachfrage beeinflusst wird, muss bei einem Rückgang der Warenproduktion mit Preissteigerungen gerechnet werden.

In einer derartigen wirtschaftlichen Situation ist es riskant, Tarifvertragslaufzeiten von mehr als 12 Monaten zu vereinbaren!