Stalin, der Unsterbliche

Regisseur Iannucci will mit dem toten Stalin den lebenden Putin schlagen

Der Film passt in die Zeit wie die berühmte Faust aufs Auge. Wenn schon, sozusagen aus dem Nichts, ohne Beweis und ohne Motiv, ein von Wladimir Putin persönlich angeordneter russischer Giftgasangriff in Großbritannien konstruiert werden kann. Und wenn mit diesem fragwürdigen Konstrukt so etwas wie der Bündnisfall ausgelöst wird, an dessen Eskalation sich gefälligst alle im "Freien Westen" zu beteiligen haben. Der bestens etablierte britische Comedian und TV-Produzent Armando Iannucci hat mit seinem Film "Death of Stalin" sozusagen im vorauseilenden Gehorsam seinen pflichtschuldigen Beitrag abgeliefert. Dass die Sowjetunion vor 27 Jahren untergegangen ist und wir es nun mit einem kapitalistischen Russland zu tun haben spielt, wie so vieles andere, beim aktuellen "Argumentieren" mit dem Vorschlaghammer naturgemäß auch keine Rolle. Die Parallelen von Stalin zu Putin hat nicht nur die "Zeit" ("Dieser urkomische Terror") schon ausgebreitet.

An "eine der lustigsten und witzigsten politischen Satiren unserer Zeit" glaubt der "Hollywood Reporter". "Brillant", applaudiert der "Rolling Stone". Und der "Guardian" weiß schon jetzt, dass es der "Film des Jahres" sein wird. Die Oscars dürfen also schon kaltgestellt werden.

Leider ist der Film weder lustig noch witzig. Auch dann nicht, wenn man die Spezifika des britischen Humors in Rechnung stellt. Immerhin gab es dort ja auch schon einmal Titanen wie "Monty Python". Aber jede Zeit hat ihren Humor und jede Klasse ebenso, und der neoliberal-neokonservative ist von einem Kaliber, bei dem man wohl schon Theresa May heißen muss, um daran sein Vergnügen zu finden.

Die Geschichte der kommunistischen Weltbewegung hat nicht wenige Momente selbstloser humaner Größe. Die Ereignisse um den Tod von Stalin gehören dazu eher nicht. Da gibt es Gründe. Die brutale Vernichtungsstrategie der zaristischen Weißen und der ausländischen Interventen in den Jahren des Bürgerkriegs, dazu der viel zu frühe Tod Lenins hatten eine Lage entstehen lassen, welche eine Fokussierung auf einen starken Führer begünstigte. Dazu kam das Ausbleiben der Revolution im Westen. Die Isolation des revolutionären Brückenkopfs in feindlicher Umgebung begünstigte dann die Hoffnungen auf den Sozialismus in einem Land und noch dazu im bis dahin ökonomisch, politisch und sozial weit zurückgebliebenen in der imperialistischen Kette. Daraus erwuchs die Vorstellung, der gigantischen Herausforderung des ökonomischen Wettlaufs und der unausweichlichen militärischen Konfrontation am Besten mit einem rigiden staatlichen Zentralismus und Dirigismus gewachsen zu sein. Einem Dirigismus, wie er mit den nötigen Änderungen etwas später auch von den führenden kapitalistischen Staaten Deutschland und USA praktiziert wurde.

Der rigide Zentralismus, überlebensnotwendig in der Phase des Bürgerkriegs, blieb daher auch danach prägendes Merkmal der Partei und manifestierte sich in der mehr und mehr diktatorischen Machtposition des Generalsekretärs und im Bedeutungsverlust bzw. Nichtvorhandensein zivilgesellschaftlicher Institutionen. Nur im Kontext der Isolation, der wachsenden äußeren Bedrohung und inneren sozioökonomischen wie zivilgesellschaftlichen Zurückgebliebenheit erscheint das Phänomen Stalin erklärbar. Was die Sache allerdings nicht besser macht.

Dabei steht das Vierteljahrhundert Stalins für beispiellose Erfolge, die Industrialisierung des Landes, der Sieg über die größte Militärmacht des Globus, aber auch für brutale Repression und politischen Mord. Stalin wurde zum Kainsmal, das der kommunistischen Bewegung bis heute anhaftet.

Natürlich erwartet niemand, dass eine Comedy-Truppe diesen Hintergrund reflektiert. Und klar, natürlich ist es legitim sich über Stalin (Adrian McLoughlin) und erst recht über seine Entourage lustig zu machen. Und, dass das Ganze mit der historischen Wahrheit nicht viel zu tun hat - geschenkt. Nur, es sollte dann auch schon lustig sein. Aber Iannucci & Co. steht derartig der antikommunistische Schaum vor dem Maul, dass sich die Story mühsam durch endlose Erschießungs-, Vergewaltigungs- und Intrigenszenen quält, bis endlich ein übergewichtiger Lawrenti Beria (Simon Russell Beale) von einem schneidigen Hollywood-Schukow in Paradeuniform (Jason Isaacs) erschossen wird und ein reichlich abgemagerter Chruschtschow (Steve Buscemi) endlich die Macht ergreift.

Auch Wjatscheslaw Molotow (Michael Palin), Anastas Mikojan (Paul Whitehouse) und Georgi Malenkow (Jeffrey Tambor) sind Korkenziehercharaktere ohne Persönlichkeit. Swetlana, Stalins Tochter (Andrea Riseborough), ist eine hysterische Ziege, Wassili, Stalins Sohn (Rupert Friend), ein schwachsinniger Trinker. Außer Beria und Schukow ist allenfalls noch die Pianistin Maria Yudina (Olga Kurylenko) zu zielgerichtetem Handeln fähig (sie verlangt für die Wiederholung eines Klavierkonzerts ein Bakschisch von 20 000 Rubel). Bei einer derartigen Anhäufung von Trotteln und Idioten, zu denen selbstredend auch die gelegentlich eingeblendeten Volksmassen gehören, ist die Gestaltung eines halbwegs plausiblen und unterhaltsamen Spannungsbogens ein ziemlich aussichtsloses Unternehmen. Zumal die eigentliche Story einigermaßen bekannt ist. So kommt es, wie es kommen muss: Beria erpresst alle und jeden, bis irgendwann Schukow hereinstürmt und Beria kurzerhand erschießt. Wieso dann ausgerechnet der etwas minderbemittelte Chruschtschow zum Chef im Ring wird, bleibt allerdings unklar.

"Death of Stalin" bringt Lenins These von den zwei Kulturen in Erinnerung. Es macht schon einen Unterschied, wer sich über wen lustig macht. Im "Leben des Brian" beispielsweise verspotten Monty Python als eine kleine, anarchische Truppe die älteste und zeitweise mächtigste Herrschaftsinstitution Europas, die in den letzten 1700 Jahren noch zu jeder Schweinerei ihre Hand gereicht hat. Mit "Death of Stalin" macht sich die britische Herrscherclique über den gescheiterten Versuch der Bolschewiki lustig, der Knute des Kapitals zu entkommen. Damit sind natürlich alle Versuche gemeint. Auch der durchaus kapitalistische von Wladimir Putin. Wer darüber lachen kann, soll es tun. Ich bin da eher für "Brian".

Autor: Klaus Wagener, UZ, Ausgabe 06.04.2018