Volksverhetzungsparagraph in Nacht-und-Nebel-Aktion verschärft

Russlandversteher in Gefahr

Wer Völkermord oder Kriegsverbrechen öffentlich "gröblich" verharmlost, dem drohen künftig bis zu drei Jahre Haft wegen Volksverhetzung. Die Ampel-Koalition hat am Donnerstag vergangener Woche vorgeführt, wie man ein Gesetz, das die Meinungsfreiheit in außerordentlicher Weise einschränkt, heimlich, still und leise durch den Bundestag bringt. Als gegen 22:30 Uhr der letzte Tagesordnungspunkt ("Achtes Gesetz zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes BZRG- Drucksache 20/4085") zur Abstimmung aufgerufen wurde, hatten sich die Sitzreihen im Bundestag bereits gelichtet. Gegenstand der angesetzten Kurzdebatte, glaubt man der Überschrift der 17-seitigen Beschlussvorlage, war das Bundeszentralregister. Es regelt die Eintragung und Tilgung von Strafen im Führungszeugnis. Fürwahr kein besonders spannendes Thema, so dass viele Abgeordnete das Papier bestenfalls überflogen haben werden. Drei Wochen vor der Donnerstagssitzung kursierte im Parlament eine Drucksache gleichen Titels- wer sie damals gelesen hatte, konnte davon ausgehen, dass nun eben diese zu vorgerückter Stunde zur Abstimmung stand.

Das Kuckucksei, um dessen Durchsetzung es den Ampelkoalitionären in Wahrheit ging und das sich im vorher in Umlauf gebrachten Gesetzesentwurf nicht findet, wurde am Ende der Drucksache 20/4085 versteckt: Hier war nicht mehr vom Registergesetz die Rede, sondern von etwas, das mit diesem Thema rein gar nichts zu tun hat, nämlich einer Ausweitung des Straftatbestandes der "Volksverhetzung" (Paragraph 130 Strafgesetzbuch (StGB)). In einer Nacht-und-Nebel-Aktion hatte der Rechtsausschuss am 19.Oktober noch schnell die Erweiterung des Straftatbestandes der "Volksverhetzung" an den Entwurf zum BZRG angehängt. "Omnibusgesetz" nennen das die Parlamentarier - Materien, die sachlich nichts miteinander zu tun haben, werden in einer Beschlussvorlage gebündelt. So fuhr der blinde Passagier namens Paragraf 130 StGB auf dem Ticket der Novelle des BZRG zur Abstimmung. Mit der Stimmenmehrheit der Ampelfraktionen wurde die Neufassung des Volksverhetzungsparagrafen kurz vor dem Sitzungsende um 23:00 Uhr verabschiedet. In Absatz 5 ist jetzt das "öffentliche Billigen, Leugnen und gröbliche Verharmlosen von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen unter Strafe gestellt, wenn die Tat in einer Weise begangen wird, die geeignet ist, zu Hass oder Gewalt aufzustacheln und den öffentlichen Frieden zu stören".

Die Tatmodalitäten entnimmt der Gesetzgeber kurzerhand der Norm, die sich gegen die Leugnung und Relativierung des Holocausts richtet. Mit der Neufassung des Paragrafen 130 wird ein weiteres Kapitel des strafbewehrten Flankenschutzes der herrschenden antirussischen Kriegsrhetorik aufgeschlagen: Schon seit März wurden landauf, landab Ermittlungsverfahren eingeleitet, sei es wegen des "öffentlichen Zeigens" des "Z"-Symbols, sei es wegen des Mitführens der Sowjetfahne oder der Fahnen der Volksrepubliken Donezk und Lugansk. Der Vorwurf lautete stets: Billigung von Straftaten in Folge der "völkerrechtswidrigen Aggression" Russlands. Das waren die Vorboten. Wer in Zukunft in Abrede stellt, dass die Separation der Gebiete im Donbass ein "völkerrechtswidriger Landraub" sei, der billigt oder verharmlost nach der Definition der Regierung und der ihr treu ergebenen bürgerlichen Medien ein Kriegsverbrechen. Wer auf Kriegsverbrechen des ukrainischen Militärs hinweist, relativiert und verharmlost damit gleichzeitig die regierungsamtliche Lesart, dass nur Russen gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen. Weh dem, der behauptet, das Bombardement eines ukrainischen Elektrizitätswerks, das seinen Strom an eine Waffenschmiede liefert, sei nicht völkerrechtswidrig.

Es ist für die strafrechtliche Verfolgung eines "Verharmlosers" auch völlig unerheblich, ob ein nationales oder internationales Gericht über die Völkerrechtswidrigkeit eines Vorgangs auf dem Kriegsschauplatz bereits entschieden hat. Auf gerichtliche Feststellungen hierzu komme es nicht an, heißt es in der Gesetzesbegründung lapidar.

UZ vom 28.10.2022