Dagger-Complex Griesheim und die NSA

Schweigen

Die Ereignisse um Edward Snowden und seine Enthüllungen haben in vielen Bereichen hektische Betriebsamkeit ausgelöst. "Abhören unter Freunden - das tut man nicht!" lässt Angela Merkel verkünden, um dann gleich im Anschluss zu beteuern natürlich von nichts gewusst zu haben. Ihr Verbindungsmann zu den deutschen Geheimdiensten, Ronald Pofalla, spielt ebenfalls den Ahnungslosen - was er bei seinen wöchentlichen Besprechungen mit den BND-Verantwortlichen so macht bleibt im Dunkeln.

Interessant auch die Reaktion der üblichen Hüter von Demokratie und Freiheit. Ständig jedes Gerücht über vermeintliche Bespitzelung durch die DDR-Staatssicherheit mit einem Aufschrei in den Medien platzieren. Doch hier herrscht Funkstille. Anscheinend hat es da so manchem selbsternannten Bürgerrechtler die Sprache verschlagen.

Und dann gibt es noch die Zeitgenossen, die den Menschen Edward Snowden als das eigentliche Problem ansehen. Ein vaterlandsloser Geselle eben - auch hier bietet die Geschichte einige Parallelen.

Dagger-Complex in Griesheim

Im Zusammenhang mit der NSA-Abhöraffäre ist auch der sich auf dem ehemaligen Euler-Flugplatz bei Griesheim befindliche Dagger-Complex wieder ins Bewusstsein gerückt. Ein junger Mann aus Griesheim lud per Facebook zu "Spaziergängen". Man wollte sich mal leibhaftige Spione ansehen. Dies rief Staatsschutz und andere Dienste auf den Plan - wohl auch sehr zur Überraschung des jungen Griesheimers. Dabei gibt es die Spione am Griesheimer Sand schon lange.

Bereits Anfang 2003 wird bekannt, dass die sogenannte Echelon-Station in Bad Aibling aufgelöst werden soll. Ein kleiner Teil wird zur größten Echelon-Anlage in Menwith Hill, Großbritannien verlegt, der größte Teil aber nach Darmstadt auf ein Gelände verlegt, das als "Dagger-Complex" bezeichnet wird. Vermutlich war die antike Echelon-Schlachtordnung der Antike der Namensgeber für dieses Spionagenetz. Die gesammelten Daten aus Europa werden über NSA-eigene Satelliten in die USA geleitet - nach Fort Meade, ins Zentrum der National Security Agency. Dort arbeiten so viele Informatiker, wie nirgendwo sonst auf der Welt: circa 40.000. Die NSA - doppelt so groß wie die CIA - wurde 1952 von Präsident Truman per Erlass gegründet. Alle Gebäude sind speziell gegen Strahlungen abgeschirmt. Nicht einmal das amerikanische Parlament weiß, was dort alles an Daten erfasst ist.

Ein ehemaliger Wachmann berichtete im März 2004 über seine Eindrücke: "Das Problem beim Dagger-Complex ist, dass man selbst als Wachmann dort nur relativ bescheidenen Einblick in die Einrichtung selbst bekommt. So stehen bei Dagger ca. 3.000 Parkplätze zur Verfügung, die Gebäude (besser Baracken) nehmen aber höchstens 200 Leute auf. Die ganze Chose findet dort unterirdisch statt. Das ganze Areal (Eberstädter Weg) liegt isoliert in einem Gebiet ohne jegliche Bewaldung. Es ist umgeben von Stacheldrahtzaun. Alle 5m Infrarotkameras und Bewegungsmelder. Das Uniform-Symbol der Dagger-Leute ist ein nach unten gerichteter Dolch der links und rechts von zwei Schlüsseln flankiert wird".

Stadtverordnetenfraktion PDS-DKP/Offene Liste

Da das Gelände des ehemaligen Euler-Flugplatzes auf Darmstädter Gemarkung liegt habe ich als Stadtverordneter der Fraktion PDS-DKP/Offene Liste nach Bekanntwerden dieser Tatsachen mit einer kleinen Anfrage versucht offene Fragen und die Beteiligung der Stadt zu klären. Die Antwort war - wie vorhersehbar - unbefriedigend und wenig aussagekräftig. Um das Thema weiter zu treiben haben wir dann am einen Antrag in die Stadtverordnetenversammlung eingebracht. Intention unseres Antrages war eine eine deutliche Distanzierung und die Aufforderung der Stadtverantwortlichen an die US-Army nach Rücknahme dieser Baumaßnahme. Zum anderen die Information der Bürgerinnen und Bürger.

Stadtverordnetenversammlung am 9. März 2004

Die Diskussion unseres Antrages zum Thema US-Abhöranlage am ehemaligen Euler-Flugplatz in der Stadtverordnetenversammlung am 09. März 2004 lässt sich wohl mit folgendem Satz zusammenfassen: Uns sind die Hände gebunden, wir können nichts tun, Protestnoten an die US-Army bringen nichts. Insbesondere mit der Information der Bürgerinnen und Bürger taten sich die Rot-Grünen Koalitionäre schwer.

Hier zwei nette Zitate des damaligen Stadtrats Klaus Feuchtinger (Grüne) aus der Debatte:

"(...), teils kann es auch nicht unsere Sache sein, gegen eine Anlage zu protestieren, von der wir tatsächlich nicht abschließend wissen, ob sie tatsächlich Spionagezwecken dient. Das muss erst mal nachweislich der Fall sein, bevor wir offiziell als Stadt hierzu eine Protestnote loswerden lassen können. Also das muss mir erst mal nachgewiesen werden, dann kann man darüber noch mal reden (...)

(...) protestieren gegen die Nutzung einer Anlage aufgrund einer Vermutung, ist dem Magistrat der Stadt Darmstadt nicht möglich."

Dies könnten wir als politische Partei ja tun. Jan Dittrich (FDP) meinte gar dies sei ein politisches Problem und daher in der Stadtverordnetenversammlung fehl am Platze. Interessanterweise wurde in der selben Stadtverordnetenversammlung ca. 2 Stunden vorher über die Novellierung der Landschaftsschutzgebietsverordnung diskutiert. Dort wird genau dieses Gebiet am Griesheimer Sand zum Vogelschutzgebiet der Zone I erklärt. Will heißen, dort hat schon ein freilaufender Hund Bußgeld für seinen Besitzer oder seine Besitzerin zur Folge. Wenn allerdings dort die US-Armee baut, sieht sich die Stadt außerstande auch nur den Hauch eines Protestes zu formulieren. Ein Angebot von Rot-Grün unseren Antrag in eine Petition an die Bundestagsabgeordneten umzuwandeln, wies ich zurück.

Bei der Abstimmung stimmten CDU, FDP, SPD und Grüne gegen unseren Antrag, die "kleinen" Fraktion UFFBASSE, LEU, Frauen und OS/3 für unseren Antrag.

Dies Abstimmungsergebnis veranlasste einen Zuhörer auf der Tribüne zum Zwischenruf "Schlaft weiter!"

Zur Chronistenpflicht gehört noch die Tatsache dass die bürgerliche Presse keine Zeile über die Tatsache und die Aktivitäten der Fraktion berichtet hat. Nur in unserer Fraktionszeitung haben wir versucht eine gewisse Öffentlichkeit herzustellen. Nur am Rande: Der Versuch das Gelände zu fotografieren hat einem Genossen den Besuch des Staatsschutzes eingebracht. Nett aber eindringlich wurde er gebeten die entsprechenden Fotos zu löschen.

Schweigen

Auch aktuell hat der Darmstädter Magistrat wenig zu sagen. Man schweigt und sitzt aus. Da die Abhöreinrichtung bald nach Wiesbaden verlegt wird, ist man fein heraus. In Wiesbaden sollen die Amerikaner derzeit laut "Spiegel" 124 Millionen Dollar in abhörsichere Büros und in ein Hightech-Kontrollzentrum investieren. Nach dessen Fertigstellung sollen die Mitarbeiter der "Dagger Area" von Darmstadt nach Wiesbaden umziehen. Die fünf Radarkuppeln (Radome) wurden schon 2008 abgebaut. Der neue Stützpunkt, der auch von der NSA genutzt werden soll, sei mit den deutschen Behörden abgesprochen. Interessant wäre mal zu erfahren mit welchen Behörden und welchen Einfluss kommunale Gremien auf diese Entscheidung hatten. Immerhin gibt es so was wie Baurecht, wobei dies in Darmstadt auch so recht keinen interessiert hat.

Aber bei Politikern wie Frank Walter Steinmeier, immerhin vier Jahre Außenminister der BRD, wundert man sich dann schon über nichts mehr: "Ich kann mich gut daran erinnern, dass es vor mehr als zehn Jahren schon mal einen Abhörskandal gab unter dem Titel "Echelon", wo es ein Netzwerk von britischen, australischen, kanadischen und amerikanischen Geheimdiensten gab. Dieses Netzwerk ist damals, so die offizielle Aussage, beendet worden."

Der "Spiegel" berichtet, die Zusammenarbeit zwischen der NSA und dem Bundesnachrichtendienst (BND) sei intensiver als bislang bekannt. Der BND soll von Daten, die die NSA in Deutschland gewinnt, profitieren. Noch Fragen?

Rainer Keil