Washingtons Frontalangriff

Der Aufbau des Internationalen Strafgerichtshofs kann beginnen - doch die USA kämpfen mit allen Mitteln dagegen

Von Stefan Ulrich (SZ)

München - New York in den Wochen nach der Katastrophe: Während Feuerwehrmänner die Toten aus den Trümmern des World Trade Centers bergen, arbeiten wenig entfernt, im Hauptquartier der Vereinten Nationen, Hunderte Delegierte am Aufbau des Internationalen Strafgerichtshofs. Das Tribunal soll einmal Menschheitsverbrechen wie die vom 11. September ahnden, so wünschen es die Regierungen aus aller Welt. Aus aller Welt? Nicht ganz. Ausgerechnet Washington, das gerade zum Kampf gegen den Terror mobilisiert, verweigert sich. Schlimmer noch: Es versucht, das Weltgericht zu torpedieren.

Die amerikanische Regierung hat in diesen Tagen angekündigt, sie unterstütze einen Gesetzesvorstoß, der Staaten bestrafen will, die dem Gerichtshof beitreten. Die Befürworter des Tribunals, allen voran die Europäer, waren schockiert. Delegierte in New York sprachen von einem "Frontalangriff auf das Projekt". Und das "in einer Zeit, in der die Amerikaner von uns massivste Unterstützung einfordern", schimpfte ein EU-Diplomat. Die Vorbereitungskonferenz für das Gericht, die am Wochenende zu Ende ging, ließ sich dennoch nicht entmutigen. Sie schloss die rechtlichen Vorarbeiten weit gehend ab und einigte sich auf Budget und Immunitätsregeln. So sollen Ermittler und Richter des Tribunals eine Art Diplomatenstatus erhalten. Der Aufbau des Gerichts in Den Haag kann beginnen.

Hollands Außenminister Jozias van Aartsen hat dazu konkrete Zusagen vorgelegt. Danach werden die Niederlande ein Kasernengelände in Den Haag zur Verfügung stellen. Ein internationaler Architekten-Wettbewerb wird gerade vorbereitet, das Gebäude soll bis zu 450 Mitarbeitern Platz bieten. In sechs Jahren soll alles fertig sein. In der Zwischenzeit wird das Weltgericht in ein Regierungsgebäude gegenüber dem Jugoslawien-Tribunal einziehen. So kann es direkt von dessen Erfahrungen profitieren. Die Terrorattacken hätten gezeigt, wie dringend der Strafgerichtshof benötigt werde, sagte van Aartsen in New York. "Globale Verbrechen erfordern eine globale Antwort."

Doch nun liegt ein tiefer Schatten über dem Projekt - die Feindschaft der USA. Dort fürchtet man, dass auch einmal amerikanische Kriegsverbrecher vor der Weltjustiz landen könnten. Diese sehr theoretische Möglichkeit erscheint vielen als unerträglich. Nach dem Gesetzesentwurf des republikanischen Senators Jesse Helms, der nun von der Bush-Administration unterstützt wird, soll allen Staaten die Militärhilfe gestrichen werden, die bei dem Weltgericht mitmachen. Ausgenommen sind nur Amerikas engste Verbündete wie etwa die Nato- Partner. Die US-Regierung soll zudem "alle notwendigen und geeigneten Mittel" einsetzen, um Bürger der USA aus der Haft des Tribunals zu befreien. Militäraktionen gegen Den Haag? Diese groteske Vorstellung zeigt nach Ansicht europäischer Delegierter, von welchem Geist das Helms-Gesetz geprägt ist.

Die EU-Staaten fühlen sich besonders düpiert. Sie haben im Juni beschlossen, das Weltgericht nach Kräften zu fördern. Der Vorstoß Washingtons sei daher "eine fundamentale Herausforderung für die Europäische Union", meint ein Diplomat. Staaten Osteuropas und Lateinamerikas, die von amerikanischer Militärhilfe abhängig sind, könnten sich nun gehindert sehen, dem Tribunal beizutreten. Doch was kann die EU tun? Amerikanische Nichtregierungs- Organisationen raten, massiv in Washington zu intervenieren. 14 von 15 EU- Mitgliedern sind dazu bereit. Doch die Briten bremsen. Sie wollen ihren engsten Verbündeten nicht verärgern. "Wir haben das bekannte Problem, dass wir nicht auf einen Nenner kommen in Europa", klagt ein Delegierter. Für das Völkertribunal gehe es nun ums Überleben.