Berufungsverfahren vor dem Obersten Gericht Schottlands wird eröffnet

Neues zu Lockerbie

Von Klaus von Raussendorff

Der Prozess über die Explosion eines US-amerikanischen Passagierflugzeugs vor fast 20 Jahren soll neu aufgerollt werden. Wird das Oberste Schottische Gericht die Chance für eine faire und transparente Prozessführung nutzen?

Was bisher über den Terroranschlag bekannt wurde, ist so widersprüchlich und verwirrend wie bei Megaterrorismus mit weitreichenden außenpolitischen Folgen leider üblich.

Die Lockerbie-Verfahren

Am 21. Dezember 1988 explodierte Pan Am Flug 103 über dem schottischen Städtchen Lockerbie. Bei dem Bombenanschlag starben 270 Menschen. Für die Tat wurde im Januar 2001 der libysche Staatsbürger Abdel Basset al Megrahi verurteilt. Ein zweiter Libyer, Al-Amin Khalifa Fhimah, wurde freigesprochen. Nun bekommt der verurteilte Megrahi, der in der Gegend von Glasgow in Haft sitzt, ein Berufungsverfahren vor dem Obersten Gericht Schottlands. So die Entscheidung der schottischen Überprüfungskommission vom 28. Juni. Dieselbe Kommission hatte vor fünf Jahren eine Wiederaufnahme des Verfahrens abgelehnt.

Megrahi war im Januar 2001 im niederländischen Camp Zeist von drei schottischen Richtern nach schottischem Strafrecht zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Libyen hatte einem solchen Verfahren auf "neutralem"

Boden schließlich zugestimmt und seine Staatsbürger, Mitglieder des libyschen Geheimdienstes, ausgeliefert. Die Angehörigen der Opfer wurden mit über zwei Milliarden US-Dollar entschädigt.

Unzuverlässige Identifizierung

Sechs Gründe gebe es, aus denen ein Fehlurteil "erfolgt sein könnte", so die Überprüfungskommission. Einer der angeblichen Beweise für die Schuld des Libyers war die Aussage eines Ladenbesitzers aus Malta, Tony Gauci, der den Angeklagten als Käufer von Kleidungsstücken erkannt haben will, die an der Absturzstelle gefunden wurden und aus dem Koffer mit der Bombe stammen sollen. Die Überprüfungskommission stellte nun fest, dass man Gauci vier Tage, bevor er den Angeklagten in einer Gegenüberstellung "erkannte", dessen Foto in einem Pressebericht gezeigt hatte. Darin war der Angeklagte mit Lockerbie in Verbindung gebracht worden. Dies untergrabe die Zuverlässigkeit seiner Identifizierung, befand die Überprüfungskommission nun. Es sei nicht bewiesen, dass die Kleidung an dem angenommenen Datum gekauft worden sei.

Ein weiteres Beweisstück war ein winziges Fragment eines Schaltkreises, das Teil einer Zeitzündervorrichtung gewesen sein soll, durch welche die Bombe ausgelöst wurde. Am 28. August 2005 berichtete die schottische Zeitung "Scotland on Sunday", dass ein pensionierter schottischer Polizeibeamter eine Erklärung unterzeichnet habe, in der er aussagt, "dass die CIA das für die Verurteilung des Libyers (wegen des Bombenattentats auf die PanAm-Maschine) entscheidende winzige Fragment eines Schaltkreises eingeschmuggelt (planted) hat". Diesem Hinweis scheint die Überprüfungskommission nicht nachgegangen zu sein. Sie erklärte laut Independent vom 29. Juni 2007, "dass sie 'ernste Bedenken' bezüglich der Glaubwürdigkeit eines ehemaligen Polizeioffiziers mit dem Spitznamen 'der Golfer' habe, der behauptet habe, sensitive Informationen über den Fall zu haben".

Eher ein diplomatischer als ein juristischer Zweck

Dass die US-Dienste das Verfahren manipuliert haben, ist seit langem bekannt. Schon der offizielle UN-Prozessbeobachter, Professor Hans Köchler, hatte unter anderem das ungehemmte Agieren von US-Beamten im Gerichtssaal in seinem Bericht gerügt.

Sechs Jahre nach dem Urteil titelte der Sunday Herald in seiner Ausgabe vom 12 November 2006: "Das Lockerbie-Verfahren war eine CIA-Inszenierung, behauptet ein US-Geheimdienstinsider." Bei diesem Insider handelte es sich um Michael Scharf, den das schottische Blatt so zitierte: "Es war ein Verfahren, wo jeder von vornherein davon ausging, dass man sich nur auf diese beiden Burschen konzentrieren würde." Dieser Michael Scharf war auch verantwortlich dafür gewesen, "die Sicherheitsratsresolution zu entwerfen, die 1992 über Libyen Sanktionen verhängte, um Tripoli zu zwingen, al-Megrahi und Fimah zur Aburteilung auszuliefern." Seine Rolle beim Verfahren erläuterte Scharf so: "Ich half dem Antiterrorismus-Büro Dokumente zu entwerfen, die beschrieben, warum wir dachten, dass Libyen verantwortlich war, aber diese basierten nicht auf der Kenntnisnahme vieler Beweise." Er sei davon überzeugt gewesen, dass Libyen, der Iran und die palästinensische Terroristengruppe PFLP-GC an dem Bombenattentat beteiligt waren. Aber der Fall habe "eher einen diplomatischen als einen rein juristischen Zweck"

gehabt. Letzteren sah Scharf inzwischen erreicht: "Libyen hat seine Massenvernichtungswaffen jetzt abgegeben. Es hat Inspektoren hereingelassen, die Sanktionen wurden aufgehoben, Touristen kommen aus den USA angereist, um die römischen Ruinen bei Tripoli zu besichtigen, und Gaddafi ist zu einem Führer in Afrika geworden, statt ein Pariah zu sein. All dies ist das Ergebnis dieses Verfahrens." Der Lockerbie-Prozess sei diplomatisch eine "Erfolgsgeschichte", rechtlich aber eine "Weißwaschung" gewesen.

Scharf war nach Lockerbie übrigens auch an einer anderen imperialistischen Justizfront tätig geworden. Im Jahre 2005 "bildete er Richter und Staatsanwälte im Irak in dem Fall aus, der zur Verurteilung und zum Todesurteil gegen Saddam Hussein führte." (William Blum in www.countercurrents.org vom 27. November 2006)

Freilassung trotz Sprengstoff-Fund

Apropos Weißwaschung: Das BKA hatte zwei Monate vor dem Lockerbie-Anschlag sechzehn in Deutschland lebende Mitglieder von Ahmed Jibrils Volksfront für die Befreiung Palästinas - Generalkommando (PFLP-GC) verhaftet. Die deutsche Polizei fand bei ihnen laut Presseberichten unter anderem eine Sprengstoffbombe in einem Toshiba Kassettenrekorder versteckt. In einem Gerät desselben Modells soll die Sprengladung in einem Koffer im Gepäckraum der Lockerbie-Maschine verborgen gewesen sein. Die Polizeiaktion in Deutschland löste zwar eine internationale Terror-Warnung aus, hatte aber in Deutschland kein strafrechtliches Nachspiel. Die Verhafteten wurden sehr schnell wieder freigelassen.

Man fragt sich unwillkürlich, ob hier vielleicht nur eine falsche Spur gelegt wurde, um den Blick von den politischen Nutznießern des Verbrechens abzulenken. Tatsächlich richteten sich die Verdächtigungen in den Medien sogleich nach dem Terroranschlag gegen die Feinde der USA und Israels. Die verdächtigte Palästinensergruppe wurde von Syrien unterstützt. Sie sollte, so die Theorie, wegen des Abschusses einer iranischen Passagiermaschine durch die US-Marine aus Gründen der Rache vom Iran mit dem Anschlag beauftragt worden sein.

Eine Frage politischer Opportunität?

Als Washington dann aber Kurs auf Krieg gegen den Irak nahm, brauchte es die politische Unterstützung Syriens und des Irans. So kam allein Libyen ins Visier. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens könnte nun, so spekulierte Der Spiegel in seiner Online-Ausgabe vom 30. Juni 2007, die Aufmerksamkeit, wieder auf die palästinensisch-syrisch-iranische Spur lenken. In Libyen, das inzwischen zur westlichen Raison gebracht ist, konnte Tony Blair kürzlich auf seiner Abschiedstournee dem britischen Energiekonzern einen Milliarden-Auftrag verschaffen. "Der Preis für den Deal soll die Freilassung eines Libyers sein", spekuliert der Kölner Stadtanzeiger am 26. Juni 2007.

Deuten diese möglicherweise "inspirierten" Pressespekulationen darauf hin, dass eine erneute Anpassung "internationaler Strafverfolgung" an aktuelle Feindbilder der USA und ihrer Verbündeten bevorsteht?

Der internationale Prozessbeobachter Professor Prof. Hans Köchler nennt in einer Stellungnahme das Verhalten der Überprüfungskommission "ein ziemlich seltsames Vorgehen 'präventiver Entlastung' bestimmter Leute des britischen und/oder schottischen Polizei- und Justizsystems." Deren Vorgehen sei, wie bereits in seinen beiden Berichten dargelegt und inzwischen durch verschiedene Aussagen bestätigt, "höchst fragwürdig". Auch habe sich die Kommission sehr bemüht, das Verteidigungsteam des Angeklagten Megrahi von jeder Kritik bezüglich "seiner Leistung im Interesse ihres Mandanten"

freizusprechen. Die Kommission habe sich allein auf die dubiose Rolle des maltesischen Ladenbesitzers konzentriert. Damit habe sie ihren "Mangel an Unabhängigkeit" bewiesen. Hans Köchler fordert daher "eine vollständige und unabhängige öffentliche Untersuchung des Lockerbie-Falles und seiner Handhabung durch die schottische Justiz und das britische und US-amerikanische Politik- und Geheimdienstestablishment." (YH)

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[ 2 ]

Zur Korruption internationaler Strafjustiz

Von Klaus von Raussendorff

Das Verfahren zum Lockerbie-Anschlag von 1988, das demnächst vor dem Obersten Schottischen Gericht überprüft werden soll, ist ein frühes Beispiel für den Einsatz internationaler Strafgerichtsbarkeit gegen Länder, die sich gegen die USA und ihre Verbündeten unbotmäßig verhalten. Sondertribunale z.B. gegen Jugoslawien, Ruanda, Irak und jüngst Libanon (Syrien) etc.

bedrohen nicht nur das friedliche Zusammenleben der Völker. Auch ein eisernes Prinzip der liberalen Demokratie bleibt dabei auf der Strecke: Die Gewaltentrennung zwischen vollziehender Gewalt und Recht sprechender Gewalt.

Die "Grenzlinie zwischen einem unparteiischen Verfahren und Siegerjustiz ist schnell überschritten, wenn das Erfordernis der Unparteilichkeit keinen Rückhalt in einer institutionellen Unabhängigkeit hat," meint Professor Hans Köchler. Eine solche Unabhängigkeit sei bei keinem dieser Sondergerichte gegeben gewesen. In einem Forschungspapier der International Progress Organisation 1) kritisiert der österreichische Philosophieprofessor, Autor eines Standardwerkes zum Thema 2) Status und Struktur dieser Sondergerichte.

Er zeigt, dass universelle Gerichtsbarkeit nicht regionalisiert werden kann (ausgenommen wie beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof des Europarats in einem permanenten regionalen Organisationsrahmen).

Die Sondertribunale des UN-Sicherheitsrats für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda seien "von Anfang an nicht in der Lage gewesen, ihre Glaubwürdigkeit als echte Gerichte zu begründen." Das Internationale Straftribunal für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag, vor dem der Prozess gegen Präsident Slobodan Milosevic bis zu dessen ungeklärtem Tod in der Haft stattfand, habe "als ein politisches Forum agiert und das Recht im wesentlichen für die Zwecke einer Staatenkoalition benutzt, die politisch und militärisch im ehemaligen Jugoslawien intervenierte." Die einzige Bestimmung der Charta der UN, auf die sich der Sicherheitsrat bei seinem - "rechtlich unhaltbaren" - Anspruch auf ein Mandat zur Schaffung irgendwelcher Tribunale stützt, ist Art. 39. Dieser regelt Zwangsmaßnahmen zur Wahrung von Frieden und Sicherheit. Er definiert keine gerichtliche sondern eine politische Kompetenz. Die Verwechslung und Vermischung der Ausübung exekutiver Gewalt durch den Sicherheitsrate mit der Ausübung internationaler Strafgerichtsbarkeit ist nach Auffassung von Köchler eine verhängnisvolle Fehlentwicklung.

Daher konnte auch das internationale Verbrechen des Lockerbie-Anschlag vor einem regionalen - oder quasi-regionalen - Sondergericht "nicht in einer glaubwürdigen und konsistenten Weise strafrechtlich verfolgt werden." Formal handelte es sich um ein Vorhaben der schottischen Justiz unter extraterritorialen Gegebenheiten auf holländischem Boden vor einem Gericht, das als ein Sondergericht gemäß einer Sicherheitsratsresolution nach Kapitel VII der UN-Charta eingerichtet worden war. Die Regierungen der USA, Großbritanniens und Libyens hatten sich nicht über die Auslegung der Montreal-Konvention von 1971 zur Sicherheit der Zivilluftfahrt einigen können. "Wegen der - fast unvermeidlichen - Politisierung des Verfahrens, die sich aus dieser Konstellation ergab, produzierte das Verfahren wie auch das Berufungsgericht höchst inkonsistente Urteile." Der Fall muss nun vor dem Obersten Schottischen Gericht neu aufgerollt werden.

Der "Irakische Oberste Strafgerichtshof" ist ein weiteres abschreckendes Beispiel. "Dieses Tribunal ist kein Gericht, weil es auf Anordnung der Besatzungsmacht in Verletzung der Dritten Genfer Konvention eingerichtet wurde." Als ein von den USA initiiertes Sondergericht "soll es sich mit internationalen Verbrechen der Führer eines besiegten Landes - oder Mitgliedern einer abgesetzten Regierung - befassen". Dadurch gerate "die ganze Operation des Gerichtshofs unter (direkte) Kontrolle der führenden Besatzungsmacht." Deren "strategische Interessen" bestimmen die Erhebung von Beweisen, die Auswahl der Verdächtigen, die Abfassung der Anklagen etc."

(nicht zu reden von der Ausbildung des Gerichtspersonals im Ausland durch Experten der USA und Großbritanniens). Der "gemischt innenpolitisch-regionale Rahmen" des Tribunals garantiere eine "fast totale Kontrolle" der USA auf Grund der Invasion des Landes, für welche die Führer der USA jedoch nicht vor einem unparteiischen internationalen Gericht zur Verantwortung gezogen werden können. Denn der Internationale Strafgerichtshof besitze keine autonome Gerichtsbarkeit. Die USA könnten mit ihrem Veto im Sicherheitsrat seine Befassung verhindern.

Ähnlich verhält es sich laut Professor Köchler mit der "ziemlich erratischen Praxis universeller Gerichtsbarkeit durch die belgische Justiz auf der Basis eines Gesetzes über Kriegsverbrechen von 1993." Dass dieses von der außenpolitisch in Schwierigkeiten gebrachten belgischen Regierung im Wege von Novellierungen ziemlich schnell wieder erledigt worden sei, habe "dem naivsten Beobachter internationaler Vorgänge gezeigt, dass die Anforderungen an eine globale Justiz nicht mit den außenpolitischen Interessen eines Nationalstaates vereinbar sind."

Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag könnte nach Meinung von Professor Köchler vielleicht einmal "einen angemessenen Verfahrensrahmen für die Ausübung einer universellen Gerichtsbarkeit abgeben, wenn eines Tages die mächtigen Staaten, einschließlich aller permanenten Mitglieder des Sicherheitsrates, dem Statut von Rom beigetreten sein werden." Doch das Statut des IStGH räumt dem Sicherheitsrat eine privilegierte Rolle ein.

Dieser entscheidet, ob Ermittlungen oder Anklagen dem IStGH zugewiesen oder entzogen werden. Damit hat das höchste Exekutivorgan der UN die Kontrolle über die Ausübung der Rechtsprechung des Gerichts. "Das bedeutet, das das unerlässliche Erfordernis einer Gewaltentrennung nicht einmal im Statut des IStGH erfüllt ist." Soweit Professor Köchler.

Das jüngste Internationale Tribunal, das der Sicherheitsrat am 30. Mai zur Verfolgung der Verantwortlichen für die Ermordung des ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri beschloss, ähnelt auffällig dem Vorgehen gegen Libyen im Lockerbie-Fall. Auch im Libanon geht es um einen spektakulären Terroranschlag. Auch hier sind die politischen Nutznießer des Terrors die USA, Israel und ihre libanesischen und andere Verbündeten. Auch hier soll ein arabisches Land, Syrien, unter Druck gesetzt werden. Und auch hier arbeitete der erste Ermittler, der Berliner Staatsanwalt Detlev Mehlis, mit fragwürdigen Methoden und Behauptungen.

Durch öffentliche spekulative Behauptungen lenkte Mehlis den Verdacht auf Syrien. Auf sein Geheiß wurden vier libanesische Generäle verhaftet, die bis heute ohne konkrete Tatvorwürfe, geschweige denn eine Anklage ihrer Freiheit beraubt werden. "Mehlis stand unter dem Einfluss einer bekannten libanesischen Gruppe. Er war Opfer von Manipulationen bestimmter Mitglieder dieser Gruppe und von Pressionen der USA." So ein intimer Kenner der libanesischen Politik, der damalige französische Kommandant der Friedenstruppe UNIFIL, General Alain Pellegrini, im Interview mit der Hezbollah nahe stehenden Wochenzeitung Al Intiqad v. 13. Juli. Mehlis Nachfolger, der Belgier Serge Brammertz sei dagegen "ein erfahrener Mann, der fern von allen Pressionen und von Politisierung arbeitet."

Wenn der Verwilderung der internationalen Strafjustiz auch hauptsächlich dadurch Grenzen gesetzt werden, dass die betroffenen Länder und Völker gegen die eigentliche Ursache dieser pseudo-juristischen Barbarei, nämlich gegen die Kriege und Interventionen der Großmächte, Widerstand leisten, so können und müssen doch auch die Möglichkeiten genutzt werden, die in westlichen Ländern gegeben sind. In der Tradition des "Russel Tribunal" von 1967 gegen den Vietnam-Krieg entstanden Tribunale der zivilen Öffentlichkeit zum Jugoslawien-Krieg und zum Irak-Krieg. Sie haben Verantwortliche namhaft gemacht und Kriegsverbrechen dokumentiert. So war es schon heute möglich, Beweismaterial zu sammeln, damit bisher unbehelligte Hauptkriegsverbrecher vielleicht eines Tages vor ordentlichen Gerichten zur Verantwortung gezogen werden können. In Deutschland wurde Strafanzeige gegen den ehemaligen US-Verteidigungsminister Rumsfeld gestellt, sie scheiterte jedoch bisher an der NATO-Bündnistreue der deutschen Justiz. Als während des Verfahrens gegen Präsident Slobodan Milosevic Spendengelder für seine Verteidigung von einer deutschen Oberfinanzdirektion und höheren politischen Instanzen in missbräuchlicher Ausnutzung einer EU-Richtlinie beschlagnahmt wurden, konnte der Eingriff gerichtlich abgewehrt werden. Immerhin handelte es sich um einen schwerwiegenden Eingriff in das Grundrecht auf Verteidigung vor Gericht. Wichtig ist auch die politische und juristische Aufarbeitung der Rolle der Internationalen Straftribunale. Zum ICTY gibt es auf der Webseite www.free-slobo.de eine umfangreiche Dokumentation. Auch liegen inzwischen Bücher über den Milosevic-Prozess von Cathrin Schütz, John Laughland und Germinal Civikov vor. 3) Und der juristisch-politische Kampf gegen das Tribunal muss auch deshalb weitergehen, weil dieses für den Tod von Milosevic verantwortlich zu machen ist. Die Familie Milosevic fordert mit Unterstützung des Internationalen Komitees für die Verteidigung von Slobodan Milosevic Aufklärung der Todesumstände und Bestrafung der Verantwortlichen (siehe: www.jungewelt.de/2007/07-16/047.php).

Schließlich ist zu betonen, dass die Korruption der internationalen Strafjustiz auch als eine parallele Entwicklung zum innerstaatlichen "Antiterrorkampf" zu sehen ist, der sich seit den Terroranschlägen in den USA am 11. September 2001 immer mehr als ein enormes Umorientierungs-,

Umerziehungs- und Umgestaltungsprogramm erweist. Eine zusammenfassende Übersicht über die "Sicherheitsmaßnahmen" der letzten Zeit bietet der Rechtsanwalt und Publizist Rolf Gössner, Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, in seinem jüngsten Buch 4). Anscheinend geht es um ein regelrechtes Programm der Demontage hergebrachter Grundsätze des Völkerrechts, der Menschen- und Bürgerrechte und des liberal-demokratischen Rechtsstaates geht.

Anmerkungen:

1) Webseite der International Progress Organisation (I.P.O.) www.i-p-o.org .

2) Hans Köchler, Global Justice or Global Revenge? International Criminal Justice at the Crossroads, (Springer-Verlag) Wien, 2003.

3) Cathrin Schütz, Die NATO-Intervention in Jugoslawien - Hintergründe, Nebenwirkungen und Folgen, (Braumüller Verlag, Ethnos Bd.62 XII), Wien 2003; John Laughland, Travesty, The Trial of Slobodan Milosevic and the Corruption of International Justice, (Pluto) London, 2007; Germinal Civikov, Der Milosevic-Prozess - Bericht eines Beobachters (Promedia) Wien 2006.

4) Rolf Gössner, Menschenrechte in Zeiten des Terrors - Kollateralschäden an der 'Heimatfront', (konkret Literaturverlag), Hamburg 2007