Auf Eskalationskurs

Zur Rolle Israels im Syrienkrieg

Israel hofft, durch Eskalation seine eigene Rolle zu stärken.

Anfang April überraschte Donald Trump mit der Ankündigung eines Abzugs aus Syrien. Die syrische Regierung und ihre Verbündeten waren dabei, die Kontrolle auch über die letzten Hochburgen der Dschihadisten zurückzuerobern. Rund eine Woche später soll der syrische Präsident den Befehl zu einem Giftgasangriff in der weitgehend befreiten Region Ost-Gouta gegeben haben. Wenn man den britisch finanzierten "Weißhelmen" und den westlichen Qualitätsmedien glauben mag. Der Effekt: Die USA, der "Westen", waren zurück im Krieg.

Der Zusammenstoß zwischen den atomaren Supermächten konnte nur knapp vermieden werden. Klar geworden ist aber, dass die syrische Luftabwehr nur unzureichend für derartige Angriffe gerüstet ist. Die russische Seite denkt daher über die Lieferung von S-300-Raketenabwehrsystemen nach.

Die israelische Regierung hat das zum Anlass genommen, eine weitere "rote Linie" im Syrienkrieg zu ziehen. Die Lieferung von S-300-Abwehrraketen bedeute so etwas wie den Kriegsfall. Israel operiert, wie die Anti-IS-Allianz unter Führung der USA, illegal in Syrien. Seine mehr als 100 Luftwaffen-Einsätze dort richteten sich hauptsächlich gegen die "Achse Iran-Syrien-Hisbollah". Dass diese Einsätze ernsthaft gefährdet sein könnten, wenn die syrische Regierung mit modernen Waffen die Kontrolle auch über ihren Luftraum zurückerobern würde, zeigt der Abschuss des israelischen F-16-Kampfjets im Februar. Ziel der F-16 war der syrische Militärflughafen T4. Es gilt für das israelische Militär als Gefährdung der nationalen Sicherheit, wenn man im Nachbarland nicht nach Belieben herumbomben kann.

Es bedarf daher kaum der Erwähnung, dass sich Benjamin Netanjahu voll hinter den US-Angriff gestellt hat: "Präsident Trumps Entschlossenheit und Israels Unterstützung bleiben unverändert." Die Absicht Trumps, den Atomdeal mit Teheran zu canceln, eröffnet allerdings die Möglichkeit zu einer wesentlich aggressiveren Variante. Wie Netanjahu ja schon auf der Münchener "SIKO" deutlich werden ließ, versucht die israelische Regierung den Druck auf Iran zu eskalieren, immer mit Blick auf den Großen Bruder. Es gilt eine Situation zu schaffen, in der dieser nicht anders kann als Israel "rauszuhauen". Wie ja der "Giftgasangriff" gezeigt hat ist Washington leicht in Zugzwang zu bringen. Angesichts der Anti-Iran-Rhetorik Trumps rechnet sich die israelische Führung hier offensichtlich Chancen aus.

Diese Chancen sind allerdings nicht ungetrübt. Das Einknicken Trumps in der Nordkorea-Politik verheißt für Netanjahu nichts Gutes. Auch nach dem letzten Militärschlag hat das Weiße Haus seine Abzugspläne aus Syrien bestätigt. Die dschihadistischen Hilfstruppen der Golfstaaten, des dritten Akteurs im "antischiitischen" Trio Infernale, sind geschlagen. Der Regime-Change in Syrien ist gescheitert. Zumindest vorerst. Damit ist das geostrategische Ringen um die Herrschaft in der Region allerdings nicht beendet.

In der Vergangenheit sind die zionistischen Falken bei ihren Anschlagsplanungen gegen iranische Ziele von den USA mehrfach zurückgepfiffen worden. Legendär ist Netanjahus bizarrer Auftritt vor der UN-Vollversammlung 2012, als er mit einer auf einem Pappschild gemalten Bombe die iranische Atom-Gefahr veranschaulichen wollte. Ein schwieriges Unterfangen, wenn man selbst auf rund 200 Atomsprengköpfen hockt. Ebenso bigott wie die Anti-Chemiewaffen-Pose der USA, die nicht nur das größte Chemiewaffenarsenal der Welt besitzen, sondern damit auch ganz real, wie in Vietnam, ganze Landstriche und Millionen Menschen verseucht haben.

Dennoch, so hofft man in Jerusalem, werden die USA mit den neuen Hardlinern im Weißen Haus, Bolton und Pompeo, empfänglich sein für ein entsprechendes israelisches Vorpreschen bis hin zum Militärschlag gegen iranische Anlagen, letztlich bis zum Krieg. Die entsprechende russische Gegenreaktion ist Teil des Eskalationskalküls. Auch der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman hatte angekündigt, im Falle des Wiederanfahrens des iranischen Atomprogramms eigene Atomwaffen produzieren zu wollen. Beide Mächte erhoffen sich - mit dem Imperium im Rücken - von einer kalkulierten Eskalation der Konflikte eine Stärkung ihrer strategischen Position als regionale Vormacht. Inwieweit es gelingt, ist eine andere Frage. Für die Menschen in der Region bedeutet das weitere Katastrophen. Für die Menschheit das Risiko des dritten Weltkriegs.

Autor: Klaus Wagener, UZ Ausgabe 20.04.2018