Nicht akzeptabel: Armut in einem reichen Land

Die Kluft zwischen reich und arm ist in Deutschland dramatisch angestiegen.

Selbst das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) erkannte, dass die Vermögen stärker konzentriert sind als allgemein angenommen. Das tatsächliche Vermögen von Multimillionären, Milliardären und Multimilliardären wird systematisch unterschätzt, weil die Erhebungen größtenteils auf freiwilligen Angaben basieren. Laut DIW besitzen die 45 reichsten Haushalte in etwa so viel wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung. Die reichsten 5 Prozent verfügen über mehr als die Hälfte, 1 Prozent besitzt über ein Drittel des Gesamtvermögens. Die ärmere Hälfte der Bevölkerung besitzt dagegen nur 1,3 Prozent aller Vermögen.

Der politische Einfluss dieser super reichen Schicht der herrschenden Klasse ist der Grund, warum Vermögen und hohe Einkommen hierzulande äußerst moderat oder auch gar nicht besteuert werden. Soll der rapide Zerfall der Gesellschaft eingedämmt werden, ist die sich vertiefende Kluft zwischen Arm und Reich zuerst einzudämmen. Dafür braucht es die Wiedererhebung der Vermögenssteuer. Das wäre ein erster wichtiger Schritt. Man muss aber auch den Spitzensteuersatz zumindest wieder auf den Stand von 1998 erhöhen: Damals betrug er 53 Prozent. Viele große Konzerne bezahlen derzeit gar keine Steuern.

In der Corona-Zeit werden Milliardenhilfen zur Krisenbewältigung an Konzerne und Großkonzerne gezahlt, die trotz dieser Zahlungen, Kreditvergaben und Kurzarbeitergeld Menschen entlassen. Gleichzeitig verkündeten Politiker, dass jetzt alle Sozialausgaben auf den Prüfstand gestellt werden müssten.

Für diese Forderungen ist der Adressat die Bundespolitik und nicht der Landkreis. Dennoch ist festzustellen: Wenn Superreiche von der Steuerzahlung ausgeklammert werden, wächst auch die Armut im Landkreis. Das hat sowohl Auswirkungen auf den Kreishaushalt als auch auf die Sozialpolitik vor Ort; insbesondere auf die Arbeit des Jobcenters, dessen Träger die Bundesagentur für Arbeit und der Landkreis sind. Es ist alles andere als unwichtig, wie der Landkreis seine Verantwortung für das ärmere Fünftel seiner Bevölkerung wahrnimmt.

Hartz IV ist Armut per Gesetz

Im Landkreis Darmstadt- Dieburg lebten 2020 etwa 15.000 Menschen im Hartz IV-Leistungsbezug. Sie sind arbeitslos oder müssen ihren Niedriglohn aufstocken, damit es zum Leben reicht. Diese Zahl hat mit dem wirtschaftlichen Abschwung seit Herbst 2019 und mit dem Corona-Lockdown 2020 erheblich zugenommen.

Die politischen Entscheidungen auf Bundesebene wirken sich erheblich auf die Sozialpolitik in den Kreisen aus. Mit den Hartz-Gesetzen wurden in den letzten fünfzehn Jahren so genannte atypische Beschäftigungsverhältnisse üblich: Zeitarbeit, befristete Arbeit, Mini- und Minijobs, Leiharbeit. Etwa ein Drittel aller Beschäftigten arbeitet in atypischen Jobs. Trotz der Einführung eines Mindestlohns von 9,35 Euro, reicht der Lohn in prekären Beschäftigungsverhältnissen kaum zum Leben. Die Menschen müssen ihn beim Jobcenter bis zum Existenzminimum aufstocken.

Mit Hartz IV wurde ein Instrument geschaffen, Arbeitslose zu jeder noch so schlechten oder prekären Beschäftigung zu pressen. Erworbene Qualifikationen werden nach vier Jahren Arbeitslosigkeit aberkannt.

Es wird kaum in versicherungspflichtige Vollzeitarbeit vermittelt und mit Sanktionen wird Zwang erzeugt. Den betroffenen Menschen begegnet das Jobcenter mit Misstrauen. Sie werden gegängelt und unmündig gemacht. Viele verlieren den Mut, sich zu wehren. Lange Zeiten im Hartz IV-Bezug haben sehr oft negative Folgen für die psychische Gesundheit. Hartz IV dient auch als Druckmittel gegen Arbeitnehmer. Die Angst vor Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg bestimmt unterschwellig Tarifauseinandersetzungen. Prekäre Beschäftigung und Lohndumping werden eher akzeptiert.

Nach fünfzehn Jahren Hartz IV hat sich die Zahl der Erwerbslosen und Aufstocker nicht verringert, stattdessen ist sie angestiegen.

Die Kreisagentur für Beschäftigung im Landkreis Darmstadt- Dieburg verwalten den Missstand. Wirklich helfen können oder sollen sie nicht. Eine Stellenvermittlung findet fast nur in atypische, prekäre Beschäftigung statt. So erhalten "Arbeitgeber" für einige Monate Lohnzuschüsse aus Steuermitteln. Nach dieser Zeit werden die Beschäftigten wieder entlassen und man besorgt sich über das Jobcenter neue Arbeitnehmer, deren Beschäftigung erneut aus Steuermitteln "gefördert" wird.

Im Januar 2019 beschloss die Bundesregierung das neue Teilhabechancengesetz. Es soll Langzeitarbeitslose in den ersten Arbeitsmarkt zurückführen. Der Arbeitgeber wird für fünf Jahre mit Steuergeldern subventioniert, wenn er einen Langzeitarbeitslosen einstellt: In den ersten zwei Jahren wird das volle Gehalt aus Steuergeldern bezahlt. Mit jedem weiterem Jahr sinkt die Bezuschussung um 10 Prozent. Eine verpflichtende Laufzeit der Arbeitsverträge ist jedoch nirgendwo geregelt. Für Arbeitgeber bedeutet das eine lukrative Quelle an billigen Arbeitskräften und damit Extraprofite auf Staatskosten über Steuergelder und Schulden.

Eine wirkliche Hilfe könnten berufliche Qualifizierungen oder die Auffrischung früher erworbener Kenntnisse sein. Doch bei der Kreisagentur für Beschäftigung im Landkreis beschränken sie sich oft auf mehrwöchige Bewerbungstrainings. Wirkliche Qualifizierungsmaßnahmen oder Umschulungen werden nur noch selten gewährt.

Für Hartz IV-Leistungsberechtigte werden seit 2011 keine Rentenbeiträge mehr entrichtet. Dies führt - selbst bei früher erworbenen Rentenansprüchen zu Altersarmut und weiterer Abhängigkeit von Sozialleistungen.

Das Jobcenter gab sich das Motto "fördern und fordern". In der Realität wird von den Hartz IV-Leistungsberechtigten viel gefordert aber sie werden wenig gefördert. Das Jobcenter arbeitet oft abwehrend und kommt seiner Beratungspflicht nicht nach. In vielen Fällen ist es nicht bemüht, den Betroffenen zu helfen. Ein menschenwürdiger Umgang mit Hilfesuchenden, eine sorgfältige Beratung und Bearbeitung der Bescheide sind das Mindeste, was vom Jobcenter verlangt werden muss!

Es mehren sich politische Vorstöße mit dem Ziel, die Hürden für Sozialklagen zu erhöhen. Manche Richter weigern sich bereits, Fälle mit niedrigen Streitwerten zu behandeln.

Die DKP wendet sich energisch gegen die Einschränkung der Prozesskostenhilfe oder eine Streitwerthürde. Auch Menschen mit niedrigem Einkommen muss der Zugang zum Rechtssystem offen stehen.

Der Datenschutz muss auch für Hartz IV-Leistungsberechtigte gelten. Das Jobcenter verlangt zum Beispiel Mietbescheinigungen, die dem Vermieter offenbaren, dass jemand Leistungsbezieher ist. Das Sozialamt stellt Bescheide aus, die dem Heizöllieferanten vorgezeigt werden sollen.

Die Verwaltungskosten der Jobcenter auf Bundesebene betragen inzwischen 2/3 des Gesamtbudgets. Eine Milliarde Euro aus der Eingliederungshilfe wurden in 2018 und 2019 in die Verwaltung umgeschichtet und fehlen damit für konkrete Hilfen. Überbordende Bürokratie und eine ausgeprägte Misstrauenskultur kosten viel Geld. Die Jobcenter arbeiten ineffektiv.

Das Jobcenter ist gesetzlich verpflichtet, auch ALG II - Leistungsberechtigte zu beraten. Diese Pflicht wird oft vermisst. Die Hilfesuchenden erhalten keine Informationen über Fristen, Zuständigkeiten, andere Hilfsangebote usw. Für Hilfesuchende ohne ausreichende Deutschkenntnisse stehen nicht immer Dolmetscherdienste zur Verfügung.

Es gibt immer noch Sanktionen, obwohl das Bundesverfassungsgericht den Hartz IV-Satz als Existenzminimum ansieht und Sanktionen über 30 Prozent als verfassungswidrig erklärte.

Für einen Sozialpass im Landkreis Darmstadt-Dieburg: Teilhabe am gesellschaftlichen Leben für Alle!

Viele einkommensschwache Haushalte und Einzelpersonen sind von weiten Teilen des öffentlichen Lebens abgeschnitten. Der Besuch eines Museums, eines Sport- oder Kulturereignisses oder auch die Fahrkarte, um Familie, Freunde und Bekannte besuchen zu können, sind nicht bezahlbar. Mit der Einführung eines Sozialpasses könnte der Landkreis auch armen Menschen eine Teilhabe am öffentlichen Leben ermöglichen.

Dafür setzt sich die DKP ein:

  • Arbeitsvermittlungen der Kreisagentur für Beschäftigung in prekäre Beschäftigungsverhältnisse lehnen wir strikt ab. Ebenso die als "Förderung" getarnte Lohnsubventionierung aus Steuermitteln für Betriebe.
  • Tariflich gesicherte und sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst, im sozialen, kulturellen und ökologischen Bereich.
  • Keine Billigjobs im öffentlichen Dienst (1-Euro-Jobs, Minijobs). Damit wird der Billiglohnbereich im öffentlichen Dienst etabliert und notwendige Stellen werden nicht besetzt.
  • Berufliche Weiterbildung und Qualifizierung von Arbeitslosen statt fragwürdiger Bewerbungstrainings bei privaten Bildungsträgern. Qualifizierte Sprachkurse für Leistungsberechtigte ohne ausreichende Deutschkenntnisse.
  • Kein repressiver Umgang mit Hilfesuchenden beim Jobcenter und Sozialamt. Die gesetzlich gesicherten Hilfen dürfen nicht eigenmächtig unterschritten werden.
  • Es ist sicherzustellen, dass die Mitarbeiter des Jobcenters die Leistungsberechtigten menschenwürdig behandeln und in deren Interesse beraten. Es darf kein Druck auf die Mitarbeiter der Jobcenter ausgeübt werden, möglichst wenig Leistungen zu gewähren.
  • Das Personal des Jobcenters muss fachlich und psychologisch gut ausgebildet, die Qualifizierung der Mitarbeiter regelmäßig und verpflichtend sein.
  • Die Kreisagentur für Beschäftigung muss seiner Beratungsverpflichtung gegenüber den Leistungsempfänger nachkommen, insbesondere auch in juristischen Fragen.
  • Leichte Sprache für alle Veröffentlichungen des Landkreises.
  • Keine Sanktionen. Hartz IV ist das Existenzminimum und kann nicht gekürzt werden. Keine Sonderregelungen für unter 25-jährige.
  • Erarbeitung eines qualifizierten Mietspiegels, der die Mietpreise auf dem Wohnungsmarkt abbildet. Wesentliche Erhöhung der Mietobergrenzen.
  • Keine Aufforderung zum Umzug, wenn die aktuelle Miete einen Bagatellbetrag von 50 Euro nicht überschreitet.
  • Übernahme der real entstandenen Heizkosten durch Jobcenter und Sozialamt.
  • Einführung eines Sozialtarifs für Strom.
  • Keine Stromsperrung bei Zahlungsverzug!
  • Ein Zuschuss zur Neubeschaffung energieeffizienter Elektrogeräte.
  • Arbeitssuchende erhalten eine kostenlose ÖPNV-Zeitkarte für den Kreis ihres Wohnsitzes und die Nachbarkreise bzw. benachbarten kreisfreien Städte.
  • Einrichtung einer kreiseigenen Schuldnerberatungsstelle und Unterstützung der Schuldnerberatungsstellen karitativer Vereine.
  • Einen gesicherten Dolmetscherdienst für die Beratung beim Jobcenter und Sozialamt.
  • Einrichtung eines Fachbeirates, in dem die betroffenen Langzeitarbeitslosen in angemessener Weise vertreten sind - mit der Aufgabe, gesellschaftliche Isolation aufzuheben.
  • Kostenübernahme für die Krankenversorgung bis zum Kostenfreibetrag der gesetzlichen Krankenkassen für Menschen, die aus dem Versicherungsschutz gefallen sind.
  • Entrichtung von Rentenbeiträgen auch bei Arbeitslosigkeit.
  • Einrichtung von Ausfüllhilfen für Formulare bei den Kommunen im Landkreis.
  • Einführung eines Sozialpasses (Vergünstigung bei öffentlichen Einrichtungen) für Personen mit geringem Einkommen. Der Sozialpass wird diesen Personen kostenlos zur Verfügung gestellt. Er soll die kostenfreie Nutzung des ÖPNV im Kreis sowie deutliche Ermäßigungen beim Besuch von Museen, Schwimmbädern, Kultur- und Sportveranstaltungen sowie Kursen der VHS beinhalten.