Schnattermaul?

Hans-Peter Brenner darüber, dass Marx und Engels nicht schwer zu verstehen sind

Willy Brandt nannte einst Friedrich Engels, den wichtigsten politischen und geistigen Weggefährten und Freund von K. Marx, in einer Rede zu dessen 150 Geburtstag einen "liebenswerten Vereinfacher." Zu den "faszinierenden Vereinfachungen von Engels" zählte laut Brandt vor allem der folgende Grundsatzgedanke, "dass es vor allem darauf ankomme, die Produktionsmittel zu sozialisieren."

Dass es sich bei dieser Aussage gewiss um einen zentralen Gedanken des von Marx und Engels gemeinsam erarbeiteten wissenschaftlichen Sozialismus handelt, steht fest. Einen Hauch dieser Ahnung findet man sogar noch im Godesberger Parteiprogramm der SPD von 1959. Wenn die SPD nicht zufällig die Verbindung zum damit untrennbaren weiteren Gedanken ausgespart hätte: die Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse und ihre werktätigen Verbündeten.

Knapp 50 Jahre später stehen wir vor einem neuen Jubiläum, dem 200. Geburtstag von Karl Marx. Und wieder geht es um ein öffentliches Abwatschen des Jubilars. Das Blatt, hinter dem angeblich lange Zeit "Immer ein kluger Kopf steckte", eröffnete seinen Beitrag zum 200. Jubiläumsjahr mit einer graphischen Petitesse. Der berühmte "Prophetenkopf" des alten Marx wurde auf der Titelseite graphisch "leicht modifiziert". Anstelle des Gesichts von Marx wurde ein Entenschnabel in seine weiße Haarpracht einmontiert.

Marx als "Schnattermaul?!". Das war die graphische Verpackung für den Auftakt eine Artikelreihe des sich als Marxist bekennenden FAZ-Feuilletonisten und -Autors Dietmar Dath. Dafür darf man Dath nicht kritisieren. Kein Journalist und Autor kann für redaktionelle "Umrahmungen" und Bearbeitungen seiner Beiträge verantwortlich gemacht werden. Aber Textbotschaft und Schnattermaul-Bild korrespondieren zumindest in einem Punkt miteinander. Marx sei enorm schwierig zu verstehen, meint Dath, wegen seiner "ungeheuer schwierigen Sätze".

Nun ja, der Journalist Marx hatte in der Tat eine "Sauklaue". Schwer zu "lesen" war er in seiner Originalschreibe ganz bestimmt. Aber schwer zu verstehen? Geht es vor allem um die Kompliziertheit seines "hypotaktischen Satzbaus", der durch die "verschachtelte Wirklichkeit" aber geradezu notwendig sei, wie Dath meint? Hätte Marx das einigen Propheten des alten Testaments - so dem Stammvater Abraham-angedichtete "biblische" Alter von 200 Jahren erreicht, so wäre er gerade wegen der Einfachheit und Klarheit seiner politischen Botschaft der sozial und gesellschaftlich Geächtete geblieben.

Denn seine grandiose und simple Botschaft lautet bekanntlich nach dem von ihm und Engels gemeinsam geschriebenen "Manifest der Kommunistischen Partei" von 1848 so: "Auf Deutschland richten die Kommunisten ihre Hauptaufmerksamkeit, weil Deutschland am Vorabend einer bürgerlichen Revolution steht und weil ... die deutsche bürgerliche Revolution nur das unmittelbare Vorspiel einer proletarischen Revolution sein kann.

Mit einem Wort, die Kommunisten unterstützen überall jede revolutionäre Bewegung gegen die bestehenden gesellschaftlichen und politischen Zustände.

In allen diesen Bewegungen heben sie die Eigentumsfrage, welche mehr oder minder entwickelte Form sie auch angenommen haben möge, als die Grundfrage der Bewegung hervor."

Ist das schwer zu verstehen? Im Gegenteil. Die Botschaft ist sehr simpel. Darauf beruht ja grade Marx‘ Massenwirksamkeit. Das weiß die Bourgeoisie, das wissen auch ihre Ideologen und Politiker. Deshalb wurden und werden diejenigen, die die Losung vom Sturz der Kapitalistenklasse und der Enteignung der Banken und Konzerne in revolutionäre Praxis in der alten BRD oder beim Aufbau der sozialistischen DDR besonders intensiv vorantrieben, auch folgerichtig mit Partei- und Berufsverboten drangsaliert oder nach 1989 zum "Stelldichein" entweder ins Gefängnis oder zum Arbeits- oder Sozialamt verfrachtet.

Marx‘ Botschaft ist simpel: "Wer-wen?" Die Revolutionäre Marx und Engels sind weder kompliziert noch sind sie schwer zu verstehen.

Quelle: UZ Ausgabe 26.02.1018