Flugblatt des Darmstädter Friedensforum vom 10. April 1999

Militärischer Teil des Rambouillet-Abkommens für den Kosovo - was Sie eigentlich nicht wissen sollen!

"Monatelang haben der EU-Sonderbeauftragte Petritsch und sein amerikanischer Kollege Hill in intensiver Reisediplomatie mit den beiden Konfliktparteien Gespräche geführt und den Boden für ein faires Abkommen bereitet. In Rambouillet und Paris ist mehrere Wochen lang hartnäckig verhandelt worden. Zu dem dort vorgelegten Abkommen, das die Menschenrechte der albanischen Bevölkerungsmehrheit im Kosovo, aber auch die territoriale Integrität Jugoslawiens gewährleistet, gibt es keine Alternative. Ihm hätten alle Parteien zustimmen müssen. ...

Die Vertreter der Kosovo-Albaner haben dem Abkommen von Rambouillet schließlich zugestimmt. Einzig die Belgrader Delegation hat durch ihre Obstruktionspolitik alle Vermittlungsversuche scheitern lassen."

Bundeskanzler Gerhard Schröder zum Abschluß des EU-Gipfels in Berlin und zum Nato-Einsatz in Jugoslawien gemäß einer Presseerklärung der Bundesregierung vom 26. März 1998.

Die Weigerung der jugoslawischen Regierung unter ihrem Präsidenten Slobodan Milosevic, dem sogenannten Rambouillet-Abkommen in der Fassung vom 23. Februar 1999, gelegentlich auch als "Friedensabkommen von Rambouillet" bezeichnet, zuzustimmen, dient neben dem Schutz der albanischen Bevölkerung als Begründung für die NATO-Offensive auf Jugoslawien, die am 24. März begann.

Daher ist es verwunderlich, wie wenig über den Inhalt des "Interim Agreement for Peace and Self-Government in Kosovo" an die Öffentlichkeit gelangt ist. Die genauere Durchsicht des Abkommens läßt allerdings klar werden, warum die Regierung der Bundesrepublik Jugoslawien oder der Republik Serbien das Abkommen gar nicht unterzeichnen konnte. Da die Details des Vertragsvorschlags in den öffentlichen Medien wie von der deutschen Bundesregierung unterschlagen werden, wird nachfolgend der Versuch unternommen, die Struktur des Dokuments zu beschreiben sowie die wesentlichen Knackpunkte, die sich mit militärischen Dinge befassen.

Was wird in dem Abkommen geregelt?

Das Vertragswerk ist in einen Vorspann, acht Kapitel und zwei Anhänge untergliedert. Jedes Kapitel umfaßt zwischen zwei und sechzehn Artikel, die Anhänge haben acht bzw. 25 Artikel. Der Vorspann befaßt sich mit den Vertragsprinzipien und vertrauensbildenden Maßnahmen. Kapitel 1 legt die Verfassung des Kosovo fest. Kapitel 2 beschreibt die Organe der inneren Sicherheit (Polizei, Justiz, Grenzschutz). Kapitel 3 beschreibt die Durchführung von Wahlen. Kapitel 4 hat die Wirtschaft zum Inhalt, die den Regeln des freien Marktes folgen soll, den Wiederaufbau des Landes und die wirtschaftlichen Entwicklung. Kapitel 5 präzisiert Maßnahmen für die Umsetzung des Abkommens und die dafür zu schaffenden Organe. Kapitel 6 führt einen Ombudsmann ein und beschreibt seine Aufgaben und Rechte. Kapitel 7 erläutert die militärische Seite der Vertragsimplementierung, insbesondere die Entmilitarisierung des Kosovo. Anhang A legt die Militär- und Polizeibezirke im Kosovo fest. Anhang B definiert den Status der internationalen Streitkräfte (KFOR, Kosovo Forces), die im Kosovo eingesetzt werden sollen. Das Schlußkapitel 8 enthält abschließende Vertragsregelungen und sieht Platz für die Unterschriften der jugoslawischen Bundesregierung, der serbischen Regierung und eines Vertreters der albanischen Verhandlungsdelegation vor.

Welche militärischen Bestimmungen sieht das Abkommen vor? (Kapitel 7 und Anhang B)

  • Als erstes fällt auf, daß für die Vereinten Nationen und den Sicherheitsrat in diesem Abkommen kein Platz ist. Zwar wird der Sicherheitsrat in Kap. 7-I/1a eingeladen, den Vertrag gutzuheißen. Im gleichen Abschnitt wird aber der NATO zugestanden, eine Streitkraft aufzubauen und zu führen, die bei der Durchsetzung der Vertragsbestimmmungen hilft. Dieser Streitkraft können gemäß Kap. 7-I/1b Truppen-, Luftwaffen- und Marineeinheiten aus NATO-Ländern wie aus Nicht-NATO-Ländern angehören. Mit welchen "Gästen" die jugoslawische Regierung im Rahmen der KFOR (Kosovo Forces) also rechnen müßte, wird nicht präzisiert. Auch über den Umfang der KFOR-Truppen wird keine Aussage gemacht.
  • Die KFOR erhält nach Kapitel 7-I/2b das Recht, jegliche Infrastruktur und Dienstleistungen, die für die Durchführung der Mission erforderlich sind, kostenlos in Anspruch zu nehmen.
  • Die drei Artikel von Kap. 7-IV geben präzise Termine und Schritte zum vollständigen Rückzug der jugoslawischen Armee aus dem Kosovo und zu ihrer Entwaffnung vor. Innerhalb eines halben Jahres nach Inkrafttreten des Vertrages sollen die jugoslawischen Streitkräfte sich komplett aus dem Kosovo zurückgezogen und sämtliche Waffen abgezogen haben. Die Grenzschutztruppe darf maximal 1.500 Mann stark sein, über eine eventuell weitere Reduzierung entscheidet allein der Kommandeur der KFOR. Die jugoslawische Luftwaffe muß nicht nur sämtliche Flugzeuge, Radaranlagen und Abwehrstellungen aus dem Kosovo abziehen, sondern überdies einen 25 km breiten Streifen auf serbischem Gebiet komplett räumen.
  • Mit anderen Streitkräften (other forces) und ihrer Entwaffnung beschäftigt sich Kap. 7-V. Dabei wird die UCK, die Befreiungsarmee des Kosovo, namentlich nicht erwähnt. Zwar werden hier die militärische Entwaffnung und der Bewegungsspielraum der anderen Streikräfte geregelt, die Details bleiben allerdings Absprachen mit dem Kommandeur der KFOR nach Unterzeichnung des Abkommens überlassen. Nicht geregelt wird auch die Frage der sogenannten Kleinwaffen (Pistolen und Gewehre) - das bedeutet, bewaffneten Übergriffen von albanischen und serbischen Zivilisten wird nicht wirksam vorgebeugt.
  • Kap. 7-VIII legt fest, daß die KFOR bei ihrer Missionserfüllung keinerlei Einschränkungen unterliegt. Welche Maßnahmen sie für die Durchführung ihrer Aufgaben für erforderlich hält, legt sie selbst bzw. ihr Kommandeur fest. Diesem kommt auch das Recht zur Interpretation der Vertragsbestimmungen zu. Obendrein wird dem Nordatlantikrat zugestanden, einseitig die Pflichten und Verantwortlichkeiten der KFOR zu ergänzen. Die KFOR kontrolliert den gesamten Verkehr im Kosovo sowie den Luftraum bis 25 km in serbisches Gebiet hinein, kann sich selbst aber ungehindert auf dem Lande, in der Luft und auf dem Wasser bewegen. Außerdem ist die KFOR nicht für Schäden haftbar, die sie verursacht.
  • Noch viel weiterreichend sind die Einschränkungen der staatlichen Souveränität Serbiens gemäß Anhang B des Abkommens: Die Angehörigen der NATO-Truppen unterliegen bei der Ein- und Ausreise nach Jugoslawien - d.h. auch Serbien - keinerlei Paß- und Visavorschriften (Art. 3). Sie verpflichten sich zwar, die regionalen Gesetze zu beachten, genießen aber straf-, zivil- und verwaltungsrechtlich unter allen Umständen vollkommene Immunität (Straffreiheit) (Art. 6).

Außerdem können sich die NATO-Soldaten im gesamten Hoheitsgebiet des Bundesrepublik Jugoslawien - d.h. im Kosovo wie in Montenegro, in der Vojvodina und im Sanjak wie in allen Teilen Serbiens - mitsamt ihrer Ausrüstung vollständig und ohne Einschränkungen frei bewegen (Art. 8) Dabei haben ihnen die jugoslawischen Behörden jede gewünschte Unterstützung zu gewähren, dürfen für die Bereitstellung der Infrastruktur und Dienste aber keine Gebühren oder Zölle erheben (Art. 10). Dementsprechend fallen für die KFOR auch keine Straßennutzungs-, Start- und Landegebühren oder andere Unkosten an. Für Schäden, die NATO-Truppen verursachen, ist die NATO nicht haftbar (Art. 17).

Selbst jugoslawische Bürger, die die NATO in ihre Dienste nimmt, genießen Immunität für jegliche Handlungen, die sie im Auftrag der NATO durchführen (Art. 20). Andererseits erhält die NATO das Recht, jugoslawische Staatsbürger festzunehmen und den Strafverfolgungsbehörden zu übergeben (Art. 21).

Die Konsequenz? Ein Krieg - und ein Ende ist nicht abzusehen.

Die jugoslawische Verhandlungsdelegation zeigte sich bereit, großen Teilen des Vertragsentwurfs zuzustimmen. Die umfassende Einschränkung der staatlichen Souveränität Jugoslawiens und die Stationierung von NATO-Truppen auf ihrem Hoheitsgebiet wollte sie aber nicht zulassen.

Unter dem Deckmantel der NATO-Angriffe können Milosevic und seine Sicherheitskräfte ihre menschenverachtende Politik weiterhin verfolgen. Fordern Sie von der deutschen Regierung die Rückkehr zu politischen Verhandlungen. Telefon Bundeskanzleramt (0228) 56-0, Fax 56-23 57.

Fordern Sie die Bundesregierung auf, Ihnen eine deutsche Fassung des Abkommens zukommen zu lassen! Rufen Sie im Bundespresseamt an: Telefon (0228) 208-0, Fax 208-25 55

Viele (unzensierte) Informationen gibt es im Internet, daher nachfolgend einige Tips:

  • Artikel der Transnational Foundation for Peace and Future Research zum Rambouillet-Abkommen, http://www.transnational.org/pressinf/ insbesondere die Dateien pf55.html bis pf58.html
  • Text des Interim Agreement for Peace and Self-Government in Kosovo unter dem URL: http://members.tripod.com/foreignaffairs/armillotta/kos_kla4.html

V.i.S.d.P. Darmstädter Friedensforum, c/o Regina Hagen, Teichhausstr. 46, 64287 Darmstadt
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